Die "Mabetex-Affaere"
Neue Zuercher Zeitung, 11 March 2000
By: Bischoff J.
Die "Mabetex-Affaere", welche die unmittelbare Umgebung von Praesident Boris Jelzin dem Korruptionsverdacht unterstellte, hat Justiz und Medien in den verschiedensten Laendern beschaeftigt. Das Epizentrum der Affaere lag im Tessin. Es war der 1992 in der Schweiz eingebuergerte Behgjet Pacolli, dem es gelungen war, das Vertrauen der Entourage von Jelzin zu erringen und so mit seiner Firma Mabetex lukrative Bauauftraege fuer den Kreml auszufuehren. Dabei soll es zu zahlreichen Unregelmaessigkeiten gekommen sein. Wie in solchen Faellen ueblich, schossen bald wilde Spekulationen ins Kraut. Der Tessiner Korrespondent der NZZ fasst den Stand der bisherigen Erkenntnisse zusammen.
Die letzten veroeffentlichten Zahlen ueber den Geschaeftsgang der Mabetex Project Engineering SA betreffen das Jahr 1997 und weisen bei Einnahmen von 630 Millionen Franken einen Nettogewinn von 35 Millionen Franken aus. Laut ihrem Prospekt hatte die Mabetex damals Vertretungen in fuenfzehn Laendern und kontrollierte sechs "Service Companies", fuenf unabhaengige "Operation Companies" sowie die im Tourismusgeschaeft taetige "Diamond"-Gruppe. Nur sieben Jahre nach ihrer Gruendung hatte die Firma eine betraechtliche, fuer viele Beobachter verdaechtige Groesse erreicht. Dann kam die Krise: Die Zahlungsmoral ihrer russischen Kunden und der mit dem Namen Mabetex verbundene Korruptionsskandal haben das Unternehmen in Schwierigkeiten gebracht. Anfang 1999 musste die Mabetex die Nachlassstundung beantragen, konnte sich aber seither ueber Wasser halten; allerdings hat ihr Besitzer angekuendigt, er werde alle seine Geschaefte aus der Schweiz in andere Laender verlegen.
Rasanter Aufstieg
Der aus Kosovo stammende und 1992 in der Schweiz eingebuergerte Geschaeftsmann Behgjet Pacolli gruendete das Unternehmen im Jahr 1990 und stieg als Generalunternehmer in den Maerkten der Nachfolgestaaten der Sowjetunion ein. Den Schluessel zum Erfolg bildete laut Pacolli die Faehigkeit der Mabetex, Projekte innert kuerzester Zeit zu vorteilhaften Preisen zu realisieren, wobei Kunden ohne Geldmittel auch die Moeglichkeit hatten, die Rechnung mit der Lieferung von Rohstoffen zu bezahlen. In Stary Oskol, im europaeischen Teil Russlands, erhielt die Mabetex den ersten Auftrag zum Bau einer Textilfabrik, dem weitere Industrieprojekte sowie ein Hospital und ein Hotel folgten. In der ostsibirischen Teilrepublik Sakha (Jakutien) baute die Firma eine Milchfabrik, ein Krankenhaus und einige Verwaltungsgebaeude. In Sakha knuepfte Behgjet Pacolli seine ersten Kontakte mit Pawel Borodin, damals Buergermeister der Hauptstadt dieser Teilrepublik. Borodin wurde 1993 zum Chef der Verwaltung des russischen Staatspraesidiums ernannt, und die Mabetex erhielt noch im gleichen Jahr den Auftrag, den beim kommunistischen Putsch gegen Jelzin beschaedigten Sitz des russischen Parlaments zu renovieren. In den folgenden Jahren beauftragte Borodin die Mabetex mit einer ganzen Reihe von Bauten, die 1995 in der Renovation des Sitzes des Staatspraesidenten im Moskauer Kreml gipfelte. Im Auftrag Borodins baute die Mabetex auch ein neues Luxushotel in Moskau, das "Golden Ring-Swiss Diamond". Laut Borodin hat die russische Praesidialverwaltung insgesamt Auftraege in der Hoehe von 300 Millionen Dollar an die Mabetex vergeben.
Eine weitere lukrative Beziehung hat Pacolli mit dem Praesidenten von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew, aufgebaut, der seit Mitte der neunziger Jahre eine neue Hauptstadt namens Astana aus dem Boden stampfen laesst. Die Mabetex erstellte mehrere Regierungsgebaeude und gruendete eine Fluggesellschaft, die Astana mit der Aussenwelt verbindet. Im Juni 1998 wurde die neue Hauptstadt eingeweiht; zur Feier luden Pacolli und seine zukuenftige Frau, die italienische Schlagersaengerin Anna Oxa, auch eine Gruppe von Tessiner Journalisten ein. Als Anerkennung fuer seine Verdienste versprach Nasarbajew, Pacolli zum Honorarkonsul Kasachstans in Lugano zu ernennen.
Bern schoepft Verdacht
Die Mabetex ist jedoch nicht die einzige Gesellschaft, die in der Ex-Sowjetunion grosse Auftraege an Land zieht. Im Jahr 1995 trennte sich ein russischer Mitarbeiter Pacollis, Victor Stolpovskikh, von der Mabetex und uebernahm die Gesellschaft MT Mercata Trading & Engineering SA in Lugano. Um sich mit Borodin gut zu stellen, machte Stolpovskikh Andrei Siletski, einen Schwiegersohn des Kreml-Verwalters, zum Vizepraesidenten der Mercata. Wie die Mabetex, so arbeitet auch die Mercata in Sakha und Kasachstan und erhielt grosse Bauauftraege des russischen Staates, darunter die Renovation des Grossen Palastes im Kreml. Im Mai 1999 wurde sie mit dem Bau des Diplomatenviertels der kasachischen Hauptstadt beauftragt. In Lugano erregte Stolpovskikh zuerst Aufsehen, als er seinen Freund, den russischen Ex-Premier Viktor Tschernomyrdin, zum Mittagessen in ein Restaurant am See ausfuehrte, und danach mit dem Kauf einer alten Villa auf der Collina d'Oro, die laut Tessiner Presseberichten 20 Millionen Franken gekostet hat.
Im Februar 1998, noch vor der offiziellen Einweihung Astanas, schrieb die Tessiner Kantonsregierung dem Bundesrat einen Brief, in dem sie sich darueber beklagte, dass Pacolli ohne Angabe von Gruenden die Zustimmung zu seiner Ernennung zum kasachischen Honorarkonsul verweigert wurde. Zu dieser Intervention hat Pacolli die Tessiner Behoerden offenbar mit der Drohung bewogen, er wuerde seinen Firmensitz anderswohin verlegen, falls er nicht Konsul werden koenne. Die schweizerische Regierung liess sich jedoch nicht dazu bewegen, die Informationen ueber Pacolli und die Mabetex zu veroeffentlichen, die zur Verweigerung des Agrement gefuehrt hatten.
Die Bundesanwaltschaft nahm jedoch ungefaehr zur gleichen Zeit Kontakt mit der russischen Staatsanwaltschaft auf. Im April 1998 begaben sich die damalige Bundesanwaeltin Carla Del Ponte und der Tessiner Staatsanwalt Jacques Ducry nach Moskau und unterzeichneten ein Memorandum ueber die Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen und den russischen Justizbehoerden. In jenem Jahr ermittelte die Genfer Justiz gegen den angeblichen russischen Mafiaboss Sergei Michailow, der dann vom Gericht freigesprochen wurde. Bundesanwaeltin Carla Del Ponte war es auch, welche die Zahl von 40 Milliarden Dollar verbreitete, die angeblich aus Russland auf Schweizer Konten geflossen seien. Bei ihrem Treffen mit dem russischen Generalstaatsanwalt Juri Skuratow im April 1998 erwaehnte Carla Del Ponte laut Skuratow auch belastendes Material ueber Personen, die Jelzin sehr nahestuenden, und im September zeigte sie ihrem russischen Kollegen erneut Dokumente, die russische Funktionaere belasteten. Nach Ueberpruefung der Informationen aus der Schweiz eroeffnete Skuratow im Oktober ein Strafverfahren gegen hohe russische Beamte und ersuchte Bern um Rechtshilfe.
Bei einer Hausdurchsuchung in den Bueros der Mabetex am 22. Januar 1999 fand die Bundesanwaltschaft Dokumente, die den Verdacht bekraeftigten, dass die Firma fuer Bauauftraege des russischen Staates Schmiergelder bezahlt hatte. Unter den beschlagnahmten Dokumenten befanden sich Kreditkarten-Belege, die auf Boris Jelzin und seine Toechter Jelena und Tatjana lauteten, sowie Unterlagen eines Kontos der Banca del Gottardo, fuer das der Kreml-Verwalter Pawel Borodin die Unterschriftsberechtigung hatte und von dem aus angeblich eine Million Dollar auf ein Konto Jelzins in Budapest ueberwiesen worden war. Diese Einzelheiten wurden jedoch erst im August 1999 durch einen Bericht der Mailaender Zeitung "Corriere della Sera" bekanntgemacht. Kurz nach der Hausdurchsuchung geriet die Mabetex in finanzielle Schwierigkeiten; die Firma ersuchte um Nachlassstundung, die vom Gericht abgelehnt wurde.
Jelzin kaempft um die Macht
Der Schauplatz des Geschehens wechselte nun nach Moskau. Am 2. Februar trat der russische Staatsanwalt Skuratow "aus Gesundheitsgruenden" ueberraschend zurueck. Waehrend Skuratow noch im Krankenhaus lag, wurden in der russischen und der internationalen Presse die geschaeftlichen Beziehungen zwischen der Familie Jelzin, Kreml-Verwalter Borodin und den beiden Firmen Mabetex und Mercata ausgebreitet und nach Hinweisen auf Schmiergeldzahlungen und verdaechtigen Kapitaltransfers ins Ausland abgeklopft. Einen Monat nach seinem "Ruecktritt" kehrte Skuratow in sein Buero zurueck; kaum zehn Tage spaeter strahlte jedoch eine russische Fernsehstation ein Video aus, das Skuratow im Bett mit zwei Prostituierten zeigte. Damit war dessen Stellung als Generalstaatsanwalt erneut in Frage gestellt. Spaeter gab Skuratow zu Protokoll, Jelzins Stabschef Nikolai Bordjuscha habe ihm das Video zum erstenmal am 1. Februar gezeigt, um ihn zum Ruecktritt zu bewegen. Dem Kreml seien seine Untersuchungen ueber die Korruption an der Staatsspitze unangenehm geworden.
Bordjuscha schien den Fall Skuratow nicht zur Zufriedenheit Jelzins geloest zu haben; auf jeden Fall verlor er seinen Posten kurz nach der Verbreitung des kompromittierenden Videos. Am 23. Maerz 1999 reiste Carla Del Ponte erneut nach Moskau; zu ihrer Begruessung liess Skuratow die Bueros Pawel Borodins im Kreml durchsuchen. Als am 1. April die Staatsanwaltschaft auch noch in den Moskauer Bueros der Mabetex eine Hausdurchsuchung durchfuehrte, wurde Skuratow von Praesident Jelzin erneut seines Amtes enthoben. Der russische Foederationsrat, dem nach der Verfassung die Wahl des Generalstaatsanwalts zusteht, hat sich bisher geweigert, Skuratows Absetzung zu bestaetigen. Der Machtkampf zwischen dem Generalstaatsanwalt und dem Praesidenten war ein Element in Jelzins Kampf um sein politisches Ueberleben oder zumindest um einen ehrenwerten Abgang. Beides garantierte ihm der damaliger Premier Primakow, der den unbequemen Generalstaatsanwalt stuetzte, nicht. Jelzin verbuendete sich mit den - zum Teil ins Ausland geflohenen - "Oligarchen", denen die Untersuchungen des Staatsanwalts Skuratow auch in die Quere gekommen waren. So ersetzte er den zu maechtig gewordenen Primakow durch seinen Getreuen Wladimir Putin. Dieser uebernahm die Macht und entliess Jelzin mit einer Generalamnestie ins Privatleben. Pawel Borodin wurde aus dem Kreml entfernt und ist nun Generalsekretaer der Union zwischen Russland und Weissrussland. Skuratow ueberlebt dank den Interviews, die er den Medien zum Thema Korruption im Kreml gibt. Seit einem Monat ist er unter dem Banner der Korruptionsbekaempfung Kandidat fuer Jelzins Nachfolge als russischer Praesident.
Der Staatsanwalt gibt Auskunft
Im ersten Fernsehinterview nach seiner Absetzung sagte Skuratow, laut den Informationen der Schweizer Behoerden besaessen dreissig oder vierzig Familien sowie weitere bekannte russische Persoenlichkeiten Konten in der Schweiz, auf die Geld aus dem Milieu der Kriminalitaet floesse. Allein auf einer Bank in Lugano, so der suspendierte Staatsanwalt etwas spaeter, befaenden sich Dutzende von Konten russischer Funktionaere mit Verbindungen zur Firma Mabetex. Der NZZ sagte er im September, die Schweizer Bundesanwaltschaft gehe davon aus, dass die Mabetex fuer ihre Auftraege in Moskau 15 Millionen Franken an Schmiergeldern gezahlt habe. - Ein anderer, der im vergangenen Herbst viele Interviews gab, war Felipe Turover, der als einer der Informanten des "Corriere della Sera"-Artikels von Ende August gilt. Turover, in Russland aufgewachsen und heute israelischer und spanischer Staatsangehoeriger, hat von 1991 bis 1997 im Auftrag der Banca del Gottardo in Russland ausstehende Kredite eingetrieben. 1995 hat Turover die Bank ueber unlautere Praktiken ihres damaligen Verantwortlichen fuer das Russlandgeschaeft, Franco Fenini, informiert, worauf dieser entlassen wurde. Fenini trat anschliessend in die Dienste der Mabetex. Den Kreditkarten der Familie Jelzin diente die Boutique von Feninis Frau als Deckadresse. Im Rahmen der Hausdurchsuchung bei der Mabetex wurde er verhaftet; die Tessiner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Erpressung, Betrug und Veruntreuung.
Verschwoerung gegen Pacolli?
Turover hatte gegen Fenini Strafanzeige erstattet und den Justizbehoerden Informationen ueber russische Konten bei der Banca del Gottardo anvertraut. Von der Bundesanwaltschaft wurde er darauf als Zeuge an die russische Staatsanwaltschaft weitergereicht, in deren Ermittlungen seine Aussagen offensichtlich einen wichtigen Platz einnehmen. In seinen Interviews zeigte sich Turover empoert ueber die Geschaeftemacherei an der Spitze des russischen Staates. Gegenueber der Zeitung "Le Monde" behauptet er, dass die Mabetex nicht nur Schmiergelder bezahlt, sondern fuer den Kreml auch Geld gewaschen habe. Mabetex-Chef Behgjet Pacolli hat diese Verdaechtigungen wiederholt als unwahr bezeichnet. Allerdings raeumte er gegenueber der "New York Times" ein, fuer Familienangehoerige von Boris Jelzin fuenf Kreditkarten besorgt zu haben. Aus der Sicht Pacollis ist die Affaere, der die Mabetex den Namen gegeben hat, das Resultat des selbstherrlichen Aktivismus von Carla Del Ponte, des Neids der Mabetex-Konkurrenten und der Intrigen von Jelzin-Gegnern wie Skuratow, Primakow und dem Moskauer Buergermeister Luschkow.
Pacolli kann heute auf Anzeichen verweisen, welche die Glaubwuerdigkeit seiner Anklaeger in Frage stellen. Die Untersuchung gegen Skuratow, die bei seiner Absetzung im April 1999 eroeffnet wurde, ist Ende Januar 2000 durch eine neue Anklage wegen Amtsmissbrauchs ergaenzt worden. Gegen Turover ermittelt die Bezirksanwaltschaft Zuerich wegen Veruntreuung und Urkundenfaelschung; er soll mit gefaelschten Zahlungsanweisungen Geld zweier russischer Kunden der Banca del Gottardo auf eigene Konten ueberwiesen haben. Die Bundesanwaltschaft hat darueber hinaus Beschwerden am Hals, die sich ueber Verletzungen des Amts- und des Bankgeheimnisses beklagen, die mit der schweizerischen Rechtshilfe an Russland einhergegangen sein sollen. In der Tat sind Informationen und Dokumente, die von der schweizerischen an die russische Justiz weitergegeben wurden, verschiedentlich an die Medien gelangt. Es ist kaum zu uebersehen, dass diese Informationen als Munition im Kampf um die Macht in Russland eingesetzt werden. Nachdem in diesem Ringen fuers erste die Partei Jelzins und Putins (und des Lieferanten Pacolli) die Oberhand behalten hat, scheint das von Skuratow eroeffnete Ermittlungsverfahren im Sand zu verlaufen.
Naechstes Kapitel: Genf
In der Schweiz gehen die Ermittlungen zu verschiedenen russischen Korruptionsaffaeren jedoch weiter. Der Genfer Untersuchungsrichter Daniel Devaud untersucht die Beziehungen Pawel Borodins zu den beiden Gesellschaften Mabetex und Mercata nach Hinweisen auf Korruption, Geldwaescherei und Aneignung von oeffentlichen Geldern. Devaud hat Konten der Mercata und der Mabetex blockiert, Dokumente beschlagnahmt und im Dezember eine gerichtliche Vorladung gegen den ehemaligen Verwaltungschef des Kreml erlassen. Laut Presseberichten, die Devaud ausdruecklich nicht dementieren will, haben seine Untersuchungen ergeben, dass die Mercata 60 Millionen Dollar Schmiergelder fuer ihre Auftraege im Kreml bezahlt hat. Die Genfer Zeitung "Le Temps" schreibt, die Schmiergelder seien auf Konten von Off-shore-Gesellschaften gelandet, von denen einige auf Borodin zurueckgefuehrt werden koennten. Ein weiteres Dossier der Genfer Justiz betrifft den kasachischen Praesidenten, der ebenfalls grosse Auftraege an die beiden Firmen vergeben hat. Mindestens ein Konto von Nursultan Nasarbajew in der Schweiz ist blockiert worden. Das naechste Kapitel der Affaere ist somit eroeffnet. Es wird in Genf geschrieben.
Neue Zuercher Zeitung, 11 March 2000